Eigenheimerverband/Aufsatz /Version NL
1. Erwerbsansprüche nach § 3 II und V AusglLeistG
Alle Pächter derjenigen ehemals volkseigenen und heute bundeseigenen landwirtschaftlichen Flächen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR haben gemäß § 3 II AusglLeistG – wenn sie vor dem 1.12.1994 einen langfristigen Nutzungsvertrag abgeschlossen hatten – einen Rechtsanspruch auf Erwerb flächenmäßig begrenzter Teile dieses Pachtlandes zu den vergünstigten Ankaufsbedingungen des § 3 VII AusglLeistG. Gemäß § 3 III AusglLeistG beschränkt sich dieser Anspruch grundsätzlich auf eine Höchstfläche von 600.000 Ertragsmeßzahlen. Als zweite Grenze nennt diese Vorschrift, daß dieser besondere Ankaufsanspruch des Pächters nur insoweit ausgeübt werden darf, als der Pächter einen Eigentumsanteil an der Gesamtfläche seines Betriebes von fünfzig Prozent nicht überschreitet. Einen vergleichbaren Anspruch räumt § 3 V AusglLeistG den Opfern der besatzungshoheitlichen Bodenreform sowie bestimmten Alteigentümern im Sinne des Vermögensgesetzes ein, wobei hier die soeben erwähnte „fünfzig-Prozent-Grenze“ naturgemäß nicht gilt, der Ankaufsanspruch aber auf 300.000 Ertragsmeßzahlen begrenzt ist. Außerdem geht der soeben erwähnte Anspruch des Pächters demjenigen der zuletzt genannten Personengruppe vor.
2. Die „Nachschlagsregelung“ in § 3 IX AusglLeistG und das Privatisierungskonzept
der BVVG 2007
a)
Der zentrale Satz eins der Nachschlagsregelung in § 3 IX AusglLeistG lautet wie folgt:
„Sind ehemals volkseigene, von der Treuhandanstalt zu privatisierende landwirtschaftliche Fläche bis zum 31.12.2003 nicht nach den Absätzen ein bis fünf veräußert worden, können sie von den nach diesen Vorschriften Berechtigten erworben werden.“
Danach stellt die Regelung klar, daß sowohl ein Anspruchsberechtigter nach Absatz zwei (Nutzer) als auch ein solcher nach Absatz fünf (Alteigentümer) unabhängig von den Flächen-Begrenzungen der genannten Grundregeln (in den Absätzen drei und fünf) weitere gepachtete Flächen (beim Nutzer) bzw. weitere „Naturalentschädigung“ (anstelle der Geldentschädigung beim Alteigentümer) erwerben können, wenn und soweit noch bundeseigene Flächen nach dem 31.12.2003 zur Verfügung stehen, in Ansehung derer natürlich die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ankaufsanspruch des § 3 II (Pächter) bzw. des § 3 V (Alteigentümer) AusglLeistG vorliegen müssen (so auch z.B.: Zimmermann, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen, B 115, § 3 AusglLeistG, RN 113 und 117; Heller/Quandt/Sanwald, Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, 1995, § 3, RN 62). Dieses Verständnis der Nachschlagsregelung, welches also die quantitativen Ankaufsbeschränkungen der „Ausgangsregelungen“ in § 3 III und V AusglLeistG nicht auf die „Nachschlagsregelung“ des § IX AusglLeistG angewendet wissen will, mithin insbesondere auch nicht die erwähnte „Fünfzig-Prozent-Klausel“, wird dadurch unterstrichen, daß die Nachschlagsregelung in § 3 IX Satz 4 AusglLeistG für den berechtigten Pächter im Sinne von Absatz drei eine neue, eigenständige „Nachschlags-Obergrenze“ – die gleichzeitig als „Gesamtobergrenze“ zu sehen ist – durch folgende Formulierung bestimmt:
„Der Erwerb nach Absatz drei und Satz eins ist nur bis zu einer Obergrenze von insgesamt 800.000 Ertragsmeßzahlen… möglich.“
Für den Berechtigten im Sinne von Absatz fünf (Alteigentümer) gilt bei der Nachschlagsregelung folgende quantitative Gesamt-Obergrenze:
„Der Erwerb nach Absatz fünf und Satz eins ist nur bis zu einer Obergrenze von insgesamt 400.000 Ertragsmeßzahlen möglich.“
Trotz dieser – dem Wortsinn und dem Regelungszusammenhang nach eindeutigen – Gesetzesfassung des § 3 IX hat sich die Treuhandanstalt/BVVG mit der Bundesregierung und den Landesregierungen der neuen Bundesländer seit Jahren darüber verständigt, daß die „Fünfzig-Prozent-Eigentumsflächen-Grenze“ des § 3 III AusglLeistG zulasten berechtigter Nutzer auch im Falle der „Nachschlagsregelung“ zu beachten ist, so daß Nutzer bis heute keine Möglichkeit haben, von der BVVG bundeseigene landwirtschaftliche Pachtflächen über eine Eigentumsanteilsgrenze der Gesamtbetriebsfläche von fünfzig Prozent hinaus zu verbilligten Konditionen zu erwerben.
Ein Teil der Kommentarliteratur vertritt ebenfalls die Auffassung, auch die sogenannte „Nachschlagsregelung“ des Absatzes neun gestatte nicht die Überschreitung eines Gesamteigentumsanteils des Nutzers in Höhe von fünfzig Prozent der Gesamtfläche seines landwirtschaftlichen Betriebes (siehe z. B. Vieberg/Reichenbach/Knolle, RN 85 zu § 3 AusglLeistG; a.a.O., RN 17 zu § 3 AusglLeistG; Zilch, in: Motsch/Rodenbach, EALG, § 3 AusglLeistG, RN 144; Ludden, in: Kinne, Offene Vermögensfragen, § 3 AusglLeistG, RN 139). Nach diesseitiger Auffassung ist diese enge Auslegung der „Nachschlagsregelung“ in
§ 3 IX AusglLeistG unhaltbar.
Bekräftigt hat die BVVG diese Rechtsauffassung in ihrem seit dem Jahr 2007 geltenden „Privatisierungskonzept“, nach welchem nun sämtliche bisher nicht an Alteigentümer bzw. Pächter veräußerten bundeseigenen Flächen an den Meistbietenden europaweit ausgeschrieben werden sollen, und zwar völlig ohne Rücksicht auf bestehende Pachtverträge. Damit setzt die BVVG die fiskalischen Interessen des Bundesfinanzministers über die geltendem Recht entsprechenden Interessen ortsansässiger Landwirte und Alteigentümer.
Die Vertreter dieser – von der BVVG eingeschlagenen – Privatisierungsstrategie berufen sich zur Begründung ihrer Rechtsauffassung auf Überlegungen, welche in der Gesetzgebungsphase zu Vorgängerregelungen des § 3 AusglLeistG angestellt worden waren. Damals war man der Auffassung, daß der Bund nicht dazu beitragen sollte, daß Landwirte mehr als fünfzig Prozent der von ihnen genutzten Flächen zu Eigentum erwerben dürften, weil ein „durchschnittlicher Landwirt“ in den alten Bundesländern ebenfalls nur fünfzig Prozent seiner Flächen zu Eigentum besitze (so z.B.: Vieberg/Knolle, a.a.O.). Anderer Ansicht nach soll die Fünfzig-Prozent-Obergrenze deshalb gelten, weil ein anderes Ergebnis „nicht sachgerecht“ sei (Ludden, a.a.O.).
b)
Verwertbare Rechtsprechung zu der hier aufgeworfenen Rechtsfrage ist so gut wie nicht vorhanden. Es existiert lediglich ein Kostenbeschluß des Kammergerichts nach § 91 a ZPO, in welchem das Kammergericht „Zweifel“ an der hier vertretenen, dem Wortlaut entsprechenden Auslegung des § 3 IX AusglLeistG zum Ausdruck bringt. Das Kammergericht stellt sich insoweit tendenziell auf die Seite der BVVG/Öffentlichen Hand und meint, die dem Gesetzeswortlauf widersprechende aber von der BVVG ständig praktizierte absolute „Flächenbegrenzung“ beim Ankaufsrecht des Nutzers auf fünfzig Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche beruhe auf dem dem gesamten Gesetz zugrunde liegenden „Zweck“, die Eigentumsquote in den neuen Bundesländern entsprechend der eines „durchschnittlichen Betriebes im alten Bundesgebiet“ zu begrenzen. Deshalb sei hinsichtlich der Nachschlagsregelung „nicht zu erkennen, warum dieser gesetzlich verfolgte Zweck angesichts einer erweiterten relativen Erwerbsgrenze (zumal mit Blick auf den subventionierten Kaufpreis) hätte aufgegeben werden sollen“ (Kammergericht, Beschluß vom 11.1.2008, 21 U 195/07).
Diese Auslegung überschreitet möglicherweise die auch einem Richter gesetzten Grenzen der Auslegung eines Gesetzes. Danach ist es einem Gericht grundsätzlich verwehrt, Gesetze in einer Art und Weise auszulegen, welche dem Wortlaut und dem Wortsinn widerspricht (vgl. z.B.: Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 4. Auflage 1977, Seite 64: „Eine Grenze der Auslegung (im engeren Sinn) bildet der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes (noch) mögliche Wortsinn des Gesetzes“).
Der Gesetzeswortlaut läßt allerdings – bei einiger Strapazierung – auch eine Auslegung zu, die mit der Rechtsauffassung der BVVG übereinstimmt. Diese Auslegungsvariante beruht darauf, daß die „Nachschlags-Regelung“ in § 3 IX Satz 4 ausdrücklich „auf den Erwerb nach Absatz drei und Satz 1“ verweist. Da aber § 3 III im wesentlichen eine Regelung des mengenmäßigen Umfangs des Ankaufsrechts darstellt und nicht der sachlichen Anspruchsgrundlagen, kann § 3 IX Satz 4 so verstanden werden, daß die neue „Nachschlags-Obergrenze“ lediglich in Bezug auf die Höhe der Ertragsmeßzahlen gemeint ist, so daß alle sonstigen quantitativen Ankaufsgrenzen des Absatzes III (weitere Anwendbarkeit der „fünfzig-Prozent-Eigentumsquote“) auch im Falle des Nachschlages weiter gelten sollen. Möglicherweise haben die bei der Formulierung des Gesetzes tätigen Ministerialräte dieses Ergebnis zum Ausdruck bringen wollen. Weitere Anhaltspunkte für dieses Gesetzesverständnis gibt es allerdings weder in den Gesetzesmaterialien noch in der amtlichen Begründung.
Andererseits spricht die Entstehungsgeschichte des Gesetzes für die hier vertretene weite Auslegung der Nachschlagsregelung. Das Gesetz beruht nämlich auf dem sogenannten „Bohl-Papier“, welches Teil des Berichtes des Bundesministers der Finanzen vom 7.1.1993 „Über den Stand der Verwertung bisheriger volkseigener Land- und Forstwirtschaftlicher Flächen in den neuen Bundesländern“ geworden ist (siehe VIZ 1993, Seite 345 ff.). Einer der Hauptzwecke der Privatisierungsregelung sollte es nach diesen Grundsätzen sein, den bisherigen Pächter bevorzugt zu berücksichtigen, wenn der bisherige Pachtvertrag ordnungsgemäß erfüllt wurde und die Nutzungsdauer von Investitionen, die zu Beginn des bisherigen Pachtverhältnisses mit Zustimmung des Verpächters vorgenommen wurden, die Laufzeit des Pachtvertrages wesentlich überschritt (Ziffer 4.3 der Anlage 2 der oben zitierten Verwertungsrichtlinie des Bundesfinanzministeriums). Dies spricht dafür, daß ein Pächter im Falle des „Nachschlages“ möglichst seine gesamte Pachtfläche erwerben können soll. Übrigens zählte es zeitlebens zu den politischen Zielen des damaligen Finanzministers, Theo Waigel, der federführend verantwortlich für die Erarbeitung des Gesetzes war, den freien Bauernstand durch Förderung und Schutz seines privaten Grund und Bodens zu erhalten als einen der Grundpfeiler einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung (Theodor Waigel, München 1967, Juristische Dissertation).
c)
Letztlich kann die Tragweite der „Nachschlagsregelung“ wegen der Zweideutigkeit ihres Wortlautes nur unter Zuhilfenahme aller anerkannter teleologischer Auslegungsregeln, wie sie von der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung entwickelt worden sind, gefunden werden. In erster Linie ist danach zu forschen, ob der Flächenerwerbsregelung des
§ 3 Ausgleichsleistungsgesetz ein übergeordneter Zweck zugrunde liegt (teleologische Auslegung), in zweiter Linie ist zu klären, ob sich aus der Werteordnung der Verfassung eine Präferenz für eine der beiden Auslegungsmöglichkeiten ableiten läßt (verfassungskonforme Auslegung) und gegebenenfalls ist drittens zu klären, ob systematische Argumente für eine der beiden vertretbaren Auslegungen sprechen (systematische Auslegung).
Die zuletzt genannte systematische Auslegungsprämisse hat das Kammergericht in der oben genannten Entscheidung angewandt und ist deshalb zur Übertragung der „Fünfzig-Prozent-Regel“ auf die „Nachschlagsregelung“ (§ 3 IX AusglLeistG) gelangt, indem es in der Regelung des § 3 III Satz 4 einen systematischen Grundsatz des Gesetzes im Hinblick auf den Gesetzesgesamtzusammenhang zu erkennen gemeint hat. Diese Auffassung ist methodisch sicher zulässig. Sie ist jedoch dies nur für den Fall, daß weder teleologische noch verfassungskonforme Auslegungsmöglichkeiten bestehen, da diese nach den genannten Auslegungsgrundsätzen der Rechtsprechung einen gewissen Vorrang jedenfalls vor einem systematischen Auslegungsargument haben.
Es fragt sich, ob nicht § 3 des Ausgleichsleistungsgesetzes im Gesamtzusammenhang mit der Präambel des Treuhandgesetzes (Privatisierungsgebot des Staates) und § 3 der Dritten Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz zu sehen ist und ob sich nicht aus diesem Grund eine „nutzerfreundliche“ Auslegung der Nachschlagsregelung aufdrängt.
Letztlich geht es also um die Frage, welcher übergeordnete Gesetzeszweck der „Nachschlagsregelung“ zugrunde liegt, und ob man diesen Gesetzeszweck – wenn er denn aus den Gesetzesmotiven zum Ausgleichsleistungsgesetz bzw. seiner Entstehungsgeschichte nicht entnommen werden kann – einem „höheren“ Gesamtzusammenhang dieses Flächenerwerbsprogramms mit dem generellen Privatisierungsgebot des Treuhandgesetzes bzw. dem speziellen Privatisierungsgebot des § 3 der Dritten Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz sehen kann. Dann ergäbe sich die hier favorisierte weite Auslegung der „Nachschlagsregelung“ aus teleologischen Auslegungskriterien. Danach ist unter mehreren, dem Wortsinn und dem Bedeutungszusammenhang nach möglichen Deutungen eines Gesetzestextes derjenigen der Vorzug zu geben, bei der der Zweck der Norm am ehesten erreicht, dem Rangverhältnis der Zwecke und der ihm zugrundeliegenden Wertung am besten entsprochen wird (Larenz, a.a.O., Seite 64).
Zweifellos besteht einer der Hauptzwecke des Treuhandgesetzes darin, die wirtschaftliche Tätigkeit privater Unternehmensträger, auch privater Landwirte, durch Bereitstellung von Grund und Boden aus dem Bereich des land- und fortwirtschaftlichen Vermögens des Bundes zu fördern (vgl.: Busche in: Rechtshandbuch Vermögen und Investition, B 200, vor
§ 1 Treuhandgesetz, RN 48). Gemäß § 3 der Dritten Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz vom 29.8.1990 (in Bundesrecht übernommen durch Anlage II Kapitel IV Abschnitt I Nr. 8 Einigungsvertrag) sind die „Eigentumsrechte an den volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen (Grundstücke) die sich im Besitz von Genossenschaften oder Einzelpersonen befinden, nach Maßgabe des Gesetzes vom 22.7.1990 über die Übertragung des Eigentums und die Verpachtung volkseigener landwirtschaftlich genutzter Grundstücke an Genossenschaften, Genossenschaftsmitglieder und andere Bürger“ in die treuhänderische Verwaltung der Treuhandanstalt übertragen worden. § 4 des ebenfalls durch den Einigungsvertrag in bundesdeutsches Recht überführten landwirtschaftlichen „Eigentumsübertragungsgesetzes“ vom 22.7.1990 (Anlage II Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 1 Einigungsvertrag) lautet insoweit eindeutig:
„Grundstücke können durch die Treuhand an Genossenschaften, Genossenschaftsmitglieder und andere Bürger verpachtet oder verkauft werden oder anderweitig verwertet werden.“
Trotz dieser insoweit eindeutigen Regelung haben aber weder die Treuhandanstalt noch die BVVG, wohl aufgrund der politischen Meinungsverschiedenheiten, der ersten Nachwende-Jahre vor dem Inkrafttreten des Ausgleichsleistungsgesetzes auf dem Gebiet der Landwirtschaft praktisch kaum Privatisierungsverkäufe vorgenommen, wobei man sich auf das „fadenscheinige“ Argument zurückgezogen hat, § 3 der Dritten DVO zum Treuhandgesetz sehe lediglich eine „treuhänderische Verwaltung“ des landwirtschaftlichen Bundeseigentums, also „keine Verfügungsbefugnis“ der Treuhandanstalt über diese Grundstücke vor (Zimmermann, Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen, B 115, § 3 Ausgleichsleistungsgesetz, RN 24).
Im Ergebnis muß man also konstatieren, daß ein wesentlicher Zweck des § 3 Ausgleichsleistungsgesetz in der Erfüllung des Privatisierungsauftrages des Treuhandgesetzes und der Dritten Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz besteht. Insoweit kann dies als ein wichtiges teleologisches Argument dafür herhalten, alle Regelungen des § 3, auch die des § 3 IX, „privatisierungsfreundlich“ auszulegen. Dies spricht für das hier vertretene weite Verständnis dieser Regelung.
Die von der BVVG favorisierte enge Auslegung der „Nachschlagsregelung“ beruft sich insoweit auf den Umstand, daß nach dem neuen Privatisierungskonzept der BVVG aus dem Jahre 2007 die nach diesseitiger Auffassung an den Pächter zu veräußernden, verbliebenen Pachtflächen im Wege einer europaweiten öffentlichen Ausschreibung an den Meistbietenden verkauft werden sollen, was nicht nur dem Fiskus nützt, sondern nach dieser Auffassung ebenfalls dem Privatisierungsauftrag des Treuhandgesetzes gerecht wird.
Es fragt sich in diesem Zusammenhang, ob sich nicht aus dem Gesamtzusammenhang der vermögensrechtlichen Regelungen des Vereinigungsrechts eine Modifizierung des Privatisierungsgebotes dahingehend ergibt, daß ortsansässige Nutzer im Rahmen der Privatisierung bevorzugt berücksichtigt werden müssen. Nach Auffassung des Verfassers kann – jedenfalls bei der Nachschlagsregelung des § 3 IX Ausgleichsleistungsgesetz – ein solcher teleologischer Vorrang ortsansässiger Nutzer bei der Privatisierung der Flächen tatsächlich angenommen werden.
Ausgangspunkt für dieses hier vertretene teleologische Argument ist nicht nur der in § 3 II und V Ausgleichsleistungsgesetz zum Ausdruck gekommene Grundsatz des Flächenerwerbsprogramms, nach welchem tunlichst ortsansässige Pächter bei der Privatisierung an erster Stelle Berücksichtigung finden sollen. Vielmehr läßt sich dieser Grundsatz schon auf die sogenannte Gemeinsame Erklärung der beiden deutschen Staaten vom 15.6.1990, welche durch Artikel 41 I Einigungsvertrag und Artikel 143 III des Grundgesetzes Bestandteil der Deutschen Binnenrechtsordnung geworden ist, ableiten. Danach hat der Staat die Aufgabe übernommen, bei der Umsetzung der mit der Wiedervereinigung verbundenen vermögensrechtlichen Fragen einen sozialverträglichen Ausgleich der hierbei betroffenen Interessen vorzunehmen, wobei die Gemeinsamen Erklärung insbesondere eine sozialverträgliche Berücksichtigung der ortsansässigen Nutzer, Mieter und Pächter ehemals volkseigener Grundstücke im Auge hat. Alle mit der Wiedervereinigung zusammenhängenden vermögensrechtlichen Fragen müssen deshalb tunlichst unter Berücksichtigung der Interessen der ortsansässigen Nutzer gelöst werden, soweit es um Rechtsverhältnisse an Grundstücken geht.
Dieses der Gemeinsamen Erklärung zu entnehmende grundsätzliche Gebot kann nach inzwischen herrschender Auffassung als Richtlinie bei der Auslegung nicht eindeutig geklärter Rechtsfragen und zur Füllung von Gesetzeslücken herangezogen werden (vgl.: Kiethe in: Rechtshandbuch Vermögen und Investition, systematische Darstellung I, 49. Ergänzungslieferung, RN 7 ff.).
Da der in der Gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck kommende „Vorrang ortsansässiger Nutzer“ insoweit als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz anzusehen ist, kommt ihm gegenüber dem ebenfalls beachtlichen Argument des Kammergerichts, welches sich auf die Orientierung des Gesetzgebers an den in Westdeutschland üblichen durchschnittlichen Eigentumsverhältnissen stützt, ein sehr starkes Gewicht zu.
d)
Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß weder die auf der systematischen Auslegungsmethode beruhende Auffassung des Kammergerichts noch eine allein an teleologischen Kriterien ausgerichtete Auslegungsmethode eine stimmige Lösung des hier aufgeworfenen Auslegungsproblems anbieten, welche dem Gesetzestext keine Gewalt antut. Deswegen kann hier ein methodisch richtiges Auslegungsergebnis – wie allgemein – nur durch eine Zusammenschau aller oben dargelegten Auslegungsmethoden gefunden werden.
Der Schlüssel für eine Lösung ergibt sich dabei aus einer Verknüpfung der beiden quantitativen Begrenzungsmaßstäbe des § 3 III 1 AusglLeistG (Höchstmaß der Ertragsmeßzahlen) und Satz 4 (fünfzig-Prozent-Eigentumsquote) jedenfalls für den Fall des „Nachschlages“ im Sinne von § 3 IX AusglLeistG. Ein Hinweis dafür, daß der Gesetzgeber die „statische“ Obergrenze der Ertragsflächenzahl jedenfalls unter bestimmten Umständen mit der zweiten – „relativen“ -Erwerbsobergrenze des fünfzigprozentigen Eigentumsanteils verknüpfen will in der Weise, daß bei der Feststellung, in welcher Höhe ein Pächter Ertragsmeßzahlen hinzuerwerben kann, dessen Eigentumsflächen mitgezählt werden müssen, ergibt sich aus § 3 III 4, dritter Halbsatz AusglLeistG. Dort heißt es, daß „auch nach Absatz fünf zustehende oder bereits erworbene Flächen“… „auf den vom Hundertsatz und auf die Ertragsmeßzahlen angerechnet“ werden müssen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß jedenfalls dann, wenn der Pächter nicht nur als solcher sondern auch in seiner Eigenschaft als „Alteigentümer“ Anspruch auf verbilligten Flächenerwerb hat und insoweit bereits Flächen zu Eigentum erworben hat, diese Eigentumsflächen in die Ermittlung der Obergrenze von 600.000 Ertragsmeßzahlen einbezogen werden müssen (vgl.: Zimmermann, a.a.O., § 3 AusglLeistG, RN 58).
Es spricht aber nichts dagegen, daß der Gesetzgeber nicht nur die nach § 3 V AusglLeistG erworbenen Eigentumsflächen sondern vielmehr sämtliche bereits vor Durchführung des Erwerbs nach § 3 AusglLeistG dem Pächter zu Eigentum zustehenden Betriebsflächen in die Berechnung der zulässigen Ertragsmeßzahlen (statische Obergrenze) einbeziehen will. Danach wäre mit der Obergrenze der verbilligt zu erwerbenden Ertragsmeßzahlen durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht worden, daß der Pächter nur unter Berücksichtigung der bereits in seinem Eigentum befindlichen Betriebsflächen durch einen verbilligten Hinzukauf gepachteter Flächen des Bundes höchstens einen Betrag von 600.000 Ertragsmeßzahlen erreichen darf. Für diese Auslegung spricht die Verwendung des Wortes „auch“ in der erwähnten Regelung des § 3 III 4 dritter Halbsatz AusglLeistG sowie des Wortes „insgesamt“ in § 3 IX 4 AusglLeistG.
Bei einem solchen Verständnis des Wortlautes der Regelung wird jetzt auch nachvollziehbar, daß § 3 IX AusglLeistG (Nachschlagsregelung) die „fünfzig-Prozent-Eigentumsquote“ nicht mehr erwähnt. Vielmehr ergibt sich aus dem Verweis des § 3 IX 4 AusglLeistG auf das soeben angesprochene Zusammenspiel zwischen Ertragsmeßzahl und Eigentumsquote, daß mit der neuen Gesamtobergrenze der Nachschlagsregelung in Höhe von 800.000 Ertragsmeßzahlen zwar die Eigentumsobergrenze von fünfzig Prozent im Falles des „Nachschlages“ fallengelassen wird, andererseits aber weiterhin sämtliche bereits im Eigentum des Pächters befindlichen Flächen bei der Berechnung der neuen Ertragsmeßzahl-Obergrenze (800.000) berücksichtigt werden müssen. Der Nutzer kann also nach der Nachschlagsregelung solange Flächen, die ihm nicht bereits aufgrund des § 3 III AusglLeistG, des § 3 V AusglLeistG oder sonstiger Umstände zu Eigentum zustehen, hinzukaufen, bis ihm insgesamt an seiner Betriebsfläche 800.000 Ertragsmeßzahlen gehören. Damit wird man sowohl dem Wortlaut des Gesetzes, als auch einer richtig verstandenen Reduzierung der Subventionierung ostdeutscher Landwirte im Hinblick auf durchschnittliche westdeutsche Eigentumsverhältnisse, als schließlich auch den örtlichen Nutzerinteressen gerecht. Dr. Robbert