XIV/11
1.
Die sogenannte „Eurokrise“ ist in Wahrheit keine Krise der Währung, sondern beruht auf der Überschuldung des Staates und ist deshalb eine Krise des modernen Staates bzw. eine Systemkrise. Es darf daran erinnert werden, daß die Krise der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ebenfalls letztendlich beruhte auf der Überschuldung des Staates und damit ähnliche Gründe hatte, wie die heutige „Eurokrise“. Heute beruht die Überschuldung der entwickelten Industriestaaten auf einer Krise des Parlamentarismus in dessen besonderer Ausprägung der sogenannten „Parteien-Demokratie“.
Der Vater der modernen bürgerlichen Soziologie und Politologie, Max Weber, hat zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts auf die Gefahren hingewiesen, welche der Parlamentarismus bei einer Herrschaft der Parteibürokratien für die demokratische Staatsform mit sich bringt. In diesem Zusammenhang hat er darauf hingewiesen, daß die Entstehung moderner Parteiapparate und -bürokratien im Zusammenhang mit der Anbindung der Parlamentsabgeordneten an deren Parteizugehörigkeit und deren Zusammenfassung zu Parteifraktionen die Tendenz hat, daß sich die Parteibürokratien die staatlichen Funktionen zu eigenen Zwecken aneignen und im Falle ihrer Entartung durch „Ämterpatronage“ und Vetternwirtschaft die demokratischen Institutionen wie ein „Krebsgeschwür“ zerstören können (Max Weber, Staatssoziologie, zweite Auflage, Berlin 1966, Seite 81 ff.).
2.
Das besondere Städtebaurecht, welches in den §§ 136 bis 172 des Baugesetzbuchs kodifiziert ist, sieht unter anderem sogenannte städtebauliche Sanierungsmaßnahmen zur Behebung städtebaulicher Mißstände vor. Ein ähnliches Instrument bilden die sogenannten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen. Ziele und Zwecke dieser Maßnahmen sind die Behebung städtebaulicher Mißstände in der Substanz oder der Funktionsfähigkeit eines Gemeindegebiets und die „Innenentwicklung“ städtischer Gebiete, die der Errichtung von Wohn- und Arbeitsstätten sowie von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen dienen sollen. In beiden Fällen erfolgt die Durchführung der von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Maßnahme (Entwicklungsmaßnahme oder Sanierung) durch Erlaß einer kommunalen Satzung (Sanierungssatzung bzw. Entwicklungssatzung), die den „umzubauenden“ Gemeindebereich förmlich festlegen.
Zur Durchführung der Entwicklungs- und Sanierungsmaßnahme bedienen sich die Gemeinden sogenannter „Sanierungs-“ oder „Entwicklungsträger“. Hierbei handelt es sich um privatrechtlich organisierte, spezialisierte Unternehmen, deren Aufgabe darin besteht, die städtebauliche Gesamtmaßnahme vorzubereiten und durchzuführen. Wegen des enormen Umfangs der von dem Baugesetzbuch vorgesehenen Durchführungsmaßnahmen können diese Instrumente hier nicht alle aufgelistet werden. Beispielsweise ist aber Aufgabe eines solchen „Sanierungsträgers“ die Vorbereitung der Sanierungssatzung und des damit zusammenhängenden Bebauungsplans durch „vorbereitende Untersuchungen“, Bestimmung der Ziele und Zwecke der Sanierung, Abfassung eines Sanierungskonzepts und Erarbeitung eines sogenannten „Sozialplans“.
In der zweiten Stufe besteht die Aufgabe des Sanierungsträgers darin, die in der Sanierungssatzung bestimmten Ziele und Zwecke entsprechend dem Konzept umzusetzen. Hierzu gehört es, daß der Sanierungsträger in der Art eines Treuhänders der Gemeinde die für die Umsetzung des Sanierungszwecks vorgesehenen Grundstücke von den Eigentümern erwirbt oder mit diesen „Abwendungsvereinbarungen“ abschließt, in denen sich diese Eigentümer zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen „freiwillig“ zur Umsetzung des Sanierungszwecks verpflichten. Nach der Umsetzung des Sanierungskonzepts besteht die Aufgabe des Sanierungsträgers darin, über die Kosten der städtebaulichen Gesamtmaßnahme und die erzielten Einnahmen, bestehend aus den Erlösen für Grundstücksverkäufe, staatliche Zuwendungen und bei den Eigentümern erhobenen Ausgleichsbeträgen, abzurechnen.
3.
Die häufig von Mitgliedern der Parteibürokratie besetzten kommunalen Vertretungsgremien haben die Tendenz, mit der Arbeit des Entwicklungs- bzw. Sanierungsträgers solche Firmen zu betrauen, deren Geschäftsführung ihrerseits sich aus Mitgliedern der betreffenden Partei zusammensetzt. Dies birgt die Gefahr in sich, daß die kommunalen Gremien in Stadtteilen die beschriebenen städtebaulichen Gesamtmaßnahmen durchführen lassen und die entsprechenden Gebiete durch Beschluß der Gemeindevertretung als solche festsetzen, ohne daß hierfür ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang der Umstand, daß der Gesetzgeber – im Zusammenhang mit entsprechenden europarechtlichen Verordnungen – mittlerweile auch entsprechende städtebauliche „Gesamtmaßnahmen“ zum Zwecke des sogenannten „Stadtumbaus“ und unter dem Schlagwort „soziale Stadt“ vorsieht. Letztere städtebauliche Maßnahmen bezwecken in den ostdeutschen Bundesländern die flächendeckende Vernichtung sogenannter „Plattenbau-Siedlungen“ bzw. die vermeintliche „strukturelle Aufwertung“ sozialer Problemviertel (Verhinderung sogenannter „Ghettos“, vgl.: BT-Drs. 15/2250, Seite 60).
Für die jeweils mit den Maßnahmen verbundenen enormen Kosten trägt letztendlich die Gemeinde die Verantwortung. Die Gemeinde finanziert sich ihrerseits allerdings durch die im Idealfall aus öffentlichen Steuergeldern gespeisten Städtebauförderungsmittel. Zu diesem Zweck haben Bund, Länder und Gemeinden ein begleitendes Finanzierungssystem als Gemeinschaftsleistung errichtet, das im einzelnen in § 164 a BauGB geregelt ist. Der Bund gewährt hierbei den Ländern zur Förderung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen nach Artikel 104 b Grundgesetz Finanzhilfen für die angeforderten Investitionen der Gemeinden. Das nähere wird durch Verwaltungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern festgelegt. Rechtsgrundlage für den jeweiligen Mitteleinsatz sind entweder Bewilligungsbescheide oder zwischen den Gemeinden und dem Land abzuschließende öffentlich-rechtliche Verträge. Nach Abschluß der Sanierung findet eine Abrechnung der Gesamtmaßnahme auf der Grundlage der Abrechnung des Sanierungsträgers zwischen der Gemeinde und dem Land und zwischen dem Land und dem Bund statt.
Die zweite wesentliche Refinanzierungsquelle der Gemeinden besteht in den von den Eigentümern der innerhalb der Maßnahmengebiete belegenen Grundstücke durch die Gemeinden zu erhebenden Ausgleichsbeträge nach § 154 BauGB. Bei diesem Ausgleichsbetrag handelt es sich um den Unterschied zwischen dem Verkehrswert des betroffenen Grundstücks vor Beginn der Sanierung (Anfangswert) und nach Abschluß der Sanierungsmaßnahme (Endwert). Dieser „Wertzuwachs“ wird von dem Eigentümer durch Bescheid der Gemeinde, der seinerseits von dem Sanierungsträger vorbereitet wird, erhoben.
Das gesamtgesellschaftliche Problem beruht hier darauf, daß der Staat über die enormen öffentlichen Fördermittel nicht verfügt, sondern sich diese zu hohen Kosten auf dem Kapitalmarkt leihen muß. Die hierbei entstehenden Kosten sind von dem Steuerzahler, also auch von den Grundstückseigentümern der betroffenen Gebiete, letztendlich durch Abgaben und Steuern zu erbringen. Deshalb werden die von den Maßnahmen betroffenen Grundstückseigentümer also zweifach belastet, nämlich einmal über die allgemeinen Steuern, und zum zweiten Mal über die zu zahlenden „Ausgleichsbeträge“. Sichere Gewinner dieser Maßnahmen sind deshalb nur die von den Gemeinden beauftragten „Entwicklungs- und Sanierungsträger“.
Dr. Robbert