XIV/1-15 (Kurzfassung)
1. Teileinziehung öffentlicher Wege für Parkraumbewirtschaftung
Nach der städtebaulichen Umgestaltung eines Plattenbau-Stadtteils der Landeshauptstadt Potsdam in eine sogenannte „Gartenstadt“ wurden sämtliche bisher dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Parkplätze durch Allgemeinverfügungen vom 24.9.2012 und vom 14.4.2015 eingezogen. Die fraglichen Flächen übertrug der Oberbürgermeister unter Beibehaltung der bisherigen Gestaltung einer privatrechtlichen GmbH im kommunalen Alleinbesitz zur Parkraumbewirtschaftung[i]. Das städtische Wohnungsunternehmen vermietet die „privatisierten“ Parkplätze an zahlungsfähige Anwohner für einen monatlichen Mietzins in Höhe von € 25,00. Alle Anwohner wurden vor kurzem aufgefordert, ein Angebot auf Abschluß eines entsprechenden Stellplatz-Mietvertrages für ein bis drei Pkws abzugeben.
Anlaß für diese rigorose Vorgehensweise, durch welche der Oberbürgermeister einerseits der zunehmenden Parkraumnot in dem betroffenen, stark verdichteten Wohngebiet Herr werden will, andererseits aus fiskalischen Gründen seiner privatrechtlich organisierten Wohnungsbaugesellschaft zusätzliche Einnahmen verschaffen möchte, ist die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, laut welcher die Anwohner einer Straße straßenrechtlich keinen Rechtsanspruch darauf haben, daß eine Straße nicht eingezogen wird[ii]. Nach Auffassung des Verfassers ist die im vorliegenden Beispielsfall von der Kommune gewählte Form der Parkraumbewirtschaftung durch „Privatisierung“ rechtswidrig, weil sie gegen die in § 6 I Nr. 14 StVG in Verbindung mit § 45 Ib Satz 1 Ziff. 2a und Satz 2 StVO abschließend geregelte Zulässigkeit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für Bewohner städtischer Quartiere und zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung i.V.m. der Regelung der Gebührenhöhe in § 6a StVG verstößt. Nach Auffassung des Verfassers können sich die von der hier von der Gemeinde gewählten „Privatisierung des Parkraums“ betroffenen Anwohner aus verfassungsrechtlichen Gründen auch auf eine Verletzung eines eigenen subjektiven öffentlichen Rechts im Sinne des § 42 II VwGO berufen.
2. Unzulässige Umgehung des Straßenverkehrsrechts
Bei den zitierten Regelungen des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung handelt es sich um bundesrechtliche Regelungen auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts, da die Parkraumbewirtschaftung zum Zwecke der Ordnung des Anwohnerparkens – erfolgt sie nun vornehmlich aus Gründen der Gefahrenabwehr oder aus städtebaulichen Gründen – der Ordnung des sogenannten „ruhenden Verkehrs“ dient, welche anerkanntermaßen eine straßenverkehrsrechtliche und keine straßenrechtliche Angelegenheit aufgrund der Natur der Sache ist. Richtiger und wohl auch herrschender Auffassung nach darf deshalb eine Verkehrsregelung – erfolge sie nun nach ordnungsrechtlichen oder nach stadtplanerischen Gesichtspunkten – grundsätzlich nicht mit den Mitteln des Straßenrechts (Einziehung/Umwidmung) vorgenommen werden. Dies wird als ein Mißbrauch des Straßenrechts angesehen[iii]. Deswegen hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahre 1969 entschieden, daß es nicht zulässig ist, Parkplätze auf einer öffentlichen Straße durch eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis, die einem Dritten gewährt oder von der Gemeinde selbst in Anspruch genommen wird, dem Gemeingebrauch zu entziehen, sei es auch nur für Kraftfahrzeuge,um auf ihnen gebühren- oder bewachungspflichtige Parkplätze einzurichten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung weiter ausdrücklich betont, die Einrichtung bewachter und insbesondere gebührenpflichtiger Parkplätze sei nur im Rahmen der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet[iv]. Da bei dem vorgestellten Beispiel die Gemeinde nicht beabsichtigt, die eingezogenen Straßenflächen tatsächlich – etwa aus städtebaulichen Gründen – dem ruhenden Verkehr zu entziehen, stellt sich eine solche Maßnahme der Sache nach als Regelung des ruhenden Verkehrs und nicht als Teil-Einziehung der öffentlichen Widmung der Straße dar. Die Heranziehung dieses straßenrechtlichen Instituts steht im Widerspruch zum abschließend bundesrechtlich geregelten Straßenverkehrsrecht und ist daher unzulässig. Es handelt sich um eine – unzulässige – Umgehung des Straßenverkehrsrechts.
Das Recht des Straßenverkehrs sowie die Regelung über die Erhebung und Verteilung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen fällt gemäß Art. 74 Ziff. 22. GG in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Der Bund hat demgemäß in §§ 6 I Nr. 14, 6a StVG und § 45 StVO eine abschließende Regelung der Voraussetzungen der Parkraumbewirtschaftung in städtischen Quartieren vorgenommen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht dann zu Lasten der Länder eine „Kodifikationssperre“, wenn der Bundesgesetzgeber – wie hier – einen Regelungsbereich im Sinne des Art. 74 GG abschließend regeln wollte[v].
Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Grundsatzentscheidungen aus dem Jahre 1969 aus obigen Überlegungen das Prinzip des „Vorrangs des Straßenverkehrsrechts“ in einer sehr weitreichenden Weise auf wegerechtliche Maßnahmen zur Einschränkung des ruhenden Verkehrs zum Zwecke der Sicherstellung einheitlicher und übersichtlicher Verkehrsverhältnisse in der Bundesrepublik, also im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 I GG), zur Geltung gebracht[vi]. Dem Bundesverwaltungsgericht geht es dabei insbesondere darum, die Umgehung des Straßenverkehrsrechts mit den Mitteln des Straßenrechts zu unterbinden. Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht später eine straßenrechtliche Einschränkung des Gemeingebrauchs durch eine Gemeinde, die hiermit das Abstellen von Mietfahrzeugen durch einen Autovermieter im öffentlichen Straßenraum verhindern wollte, für unzulässig erklärt[vii]. Das Straßenverkehrsrecht verdrängt also bei richtigem Verständnis dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich der Regulierung des ruhenden Verkehrs das Straßenrecht ohne Rücksicht darauf, von welchen Gesichtspunkten die jeweiligen straßenrechtlichen Maßnahmen einer Gemeinde getragen werden[viii].
Im Gegensatz zum Straßenverkehrsrecht gehört das Straßenrecht in die originäre Gesetzgebungskompetenz der Länder. Das Straßenrecht regelt die mit der Zurverfügungstellung eines Grundstücks für den öffentlichen Verkehr verbundenen Rechtsfolgen und damit seine Bereitstellung, bauliche Herrichtung, Stufung, Widmung, Umstufung, Entwidmung sowie den Gemeingebrauch und die Sondernutzung an ihm. Es regelt die grundsätzliche Ermächtigung zur Benutzung der Verkehrsfläche und bildet somit die Voraussetzung des Straßenverkehrsrechts. Im Gegensatz dazu ordnet das Straßenverkehrsrecht als Ordnungsrecht die Benutzungsregeln der straßenrechtlich bereitgestellten öffentlichen Verkehrsflächen[ix]. Wegen seines insoweit offenbar gewollten Vorrangs läßt § 45 StVO eine Verkehrsregelung mit straßenrechtlichen Mitteln durch nachträgliche Widmungs-Beschränkungen auf der Grundlage des landesrechtlichen Straßenrechts – ausnahmsweise – nur unter den in dieser Vorschrift (§ 45 StVO) geregelten Voraussetzungen zu. So kann zum Beispiel eine Widmungsbeschränkung mit straßenrechtlichen Mitteln (Teileinziehung der Verkehrsfläche; Ausschluß bestimmter Verkehrsarten) zum Zwecke der Einrichtung einer Fußgängerzone oder einer verkehrsberuhigten Zone erfolgen, aber nur im Rahmen und unter den Voraussetzungen des § 45 IX StVO. Laut dieser Regelung dürfen „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort angeordnet werden, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist“.
Ausweislich der Gesetzesmotive zu § 6 I Nr. 14 StVG dienen die erwähnten Vorschriften der StVO zur Parkraumbewirtschaftung einerseits der Parkbevorrechtigung für die Wohnbevölkerung und der Festlegung von Obergrenzen über die maximale Ausdehnung der großräumigen Bewohnerparkbereiche, sie müssen aber andererseits sicherstellen, daß der dort vorgesehene Mindestanteil des Parkraums, der in großräumigen Bewohnerparkbereichen zur allgemeinen, aber parkraumbewirtschafteten Nutzung für nicht Quartier-ansässige Besucher, Gewerbetreibende und Pendler zur Verfügung stehen muß, den Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen insoweit nicht gänzlich ausschließt[x]. Im übrigen müssen Entgeltregelungen wegen des Vorrangs des Bundesrechts immer den Maßgaben des § 6a StVG entsprechen. Das ist bei der besprochenen Privatisierung nicht der Fall.
3. Restriktive Rechtsprechung zur Klagebefugnis
Die hier von der Brandenburgischen Stadt für einen ganzen Ortsteil verfügte Entwidmung des dem ruhenden Verkehr (Parken) öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßenlandes wirft grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen auf. Es stellt sich insgesamt die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein auf die Nutzung seines Pkws angewiesener Anwohner einer öffentlichen Straße durch die hier vorgenommene Entwidmung des Parkraums zum Zwecke der Privatisierung und anschließenden Vermietung der „freiwerdenden“ Parkplätze an zahlungskräftige Pkw-Besitzer in einem subjektiven öffentlichen Recht betroffen ist und demgemäß hiergegen Rechtsmittel (Widerspruch und Anfechtungsklage) einlegen kann.
Nach Auffassung einer im Zusammenhang mit der hier besprochenen Teileinziehung ergangenen, Prozeßkostenhilfe ablehnenden, Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg können Anwohner bei einer Straßenentwidmung auch nicht eine Verletzung des sogenannten „Anliegergebrauchs“ aus Art. 2 I und Art 3 I GG ableiten. Es entspreche ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, daß einem Straßenanlieger „ein Abwehrrecht“ nur dann zustehe, wenn „die angemessene Nutzung seines Grundstücks die Verbindung mit der Straße erfordere“. Angemessen sei „nur eine nach den jeweiligen Umständen zumutbare Erreichbarkeit des Grundstücks“[xi]. Das OVG verweist im übrigen auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 6.8.1982, in welcher letzteres einen Anspruch des Anliegers auf Erhaltung bestehender Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen und Plätzen „unmittelbar bei seinem Grundstück oder in dessen angemessener Nähe“ verneint hat[xii]. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht hier aber ausdrücklich offengelassen, ob nicht die landesrechtlichen Regelungen über die Einziehung als „drittschützend“ zugunsten der Anlieger angesehen werden könnten.
4. Verfassungsrechtlicher Hintergrund des Anliegerparkens
Nach Ansicht des Verfassers kann im Ergebnis nicht davon ausgegangen werden, daß die soeben zitierte Rechtsprechung, insbesondere des Oberwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, eine Rechtsbetroffenheit im Sinne des § 42 II VwGO ausschließt im Zusammenhang mit der hier in Rede stehenden Konstellation, nämlich der Entwidmung des Parkraumes mit dem ausschließlichen Zweck, denselben anschließend an exklusive Anlieger unter Beibehaltung der bisherigen Nutzungsfunktion (Parken) zu vermieten. Vielmehr ist ein auf die Beibehaltung des öffentlichen Parkraums angewiesener Anwohner nicht nur durch diese „Privatisierungs-Aktion“ in seinen Rechten betroffen (§ 42 II VwGO), sondern diese Beeinträchtigung seines Rechts ist auch materiell rechtswidrig, weil sie gegen das Willkürverbot (Art. 3 I GG) im Zusammenhang mit dem grundrechtlich (Art. 2 I GG) unterlegten Gemeingebrauch der Anlieger – den sogenannten „schlichten“ Anliegergebrauch – verstößt. (zum Unterschied zwischen „schlichtem“ und „gesteigertem“ Anliegergebrauch: Papier, in: Allgemeines VerwR 13. Auf. 2005, RN 19.
Richtigerweise ist zunächst davon auszugehen, daß die hier zugunsten eines Anliegers in Frage kommenden Grundrechte[xiii] nur einen „status negativus“ verleihen, das heißt lediglich staatliche Eingriffe abwehren sollen, welche die einem Privaten zugeordneten, wohlerworbenen bzw. bestehenden Güter desselben schützen. Da öffentliches Straßenland zunächst nicht als ein solches, einer Privatperson zugeordnetes Gut angesehen werden kann, sondern vielmehr der öffentlichen Hand in erster Linie zusteht, ist deren Ausgangsposition nicht zu beanstanden, die darin besteht, der Staat könne mit seinem Vermögen ohne Rücksicht auf betroffene Anwohnerinteressen nach einen Gutdünken schalten und walten. Deshalb gelten die Vorschriften über die Voraussetzungen einer Straßeneinziehung nach einer Auffassung als nicht „drittschützend“[xiv].
Es muß allerdings hierbei die faktische Bedingtheit der Ausübung einiger Grundrechte von den Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Straßenlandes berücksichtigt werden. Wegen der zunehmenden Verdichtung bzw. der damit einhergehenden Verknappung privaten Vermögens in der Hand Einzelner ist die Mehrheit der städtischen Einwohnerschaft zur Entfaltung ihrer Fortbewegungs- und Handlungsfreiheit, von welcher wiederum auch ihre berufliche Tätigkeit abhängt, auf die Nutzung des öffentlich gewidmeten Straßenlandes existentiell angewiesen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis kann bei der Interpretation des Schutzbereichs der hier einschlägigen Grundrechte nicht unberücksichtigt bleiben.
Das soeben beschriebene Angewiesensein des Anwohners auf die Existenz öffentlichen Parkraums zum Zwecke der Verwirklichung seiner Freiheitsgrundrechte ist vergleichbar mit dem Bedürfnis eines Studenten an der Vorhaltung eines Studienplatzes an einer öffentlichen Universität, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dogmatisch herausgearbeitet worden ist[xv]. Das Bundesverfassungsgericht konstruiert hier über die objektiv-rechtliche Seite des Grundrechts auf Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) einen Anspruch auf Teilhabe. Wenn das Grundgesetz die Existenz bestimmter grundrechtlich relevanter Handlungen und Rechtsgüter als ordnungspolitisch erwünscht und wertvoll erkannt habe, so müßten die staatlichen Organe dafür sorgen, daß diese Existenz möglich sei. Da Art. 12 I GG eine objektiv-rechtliche Verfassungsentscheidung zugunsten einer optimalen Ausbildung enthalte, müsse der Staat diese Entscheidung in die Verfassungswirklichkeit umsetzen und ausreichende Ausbildungskapazitäten schaffen[xvi].
Aufbauend auf seiner sogenannten „Elfes-Rechtsprechung“, laut derer Art. 2 I GG als sogenanntes „Auffanggrundrecht“ die allgemeine Handlungsfreiheit eines Menschen umfassend schützt, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß auch das „Reiten im Walde“ unter den Schutz des Art. 2 I GG fällt und es deshalb darauf ankommt, ob die Gesetze, die dies einschränken oder verbieten, am Maßstab dieses Grundrechts zu rechtfertigen sind (BVerfGE 80, 137, 153 f.). Infolge dieser durch das Bundesverfassungsgericht vertretenen Auslegung der Reichweite der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG unterfällt auch jeder öffentlich-rechtliche, gesetzlich geschaffene Teilhabeanspruch einer Person dem Schutzbereich des Art. 2 I GG. Richtiger Ansicht nach hat der so betroffene Anwohner während des Bestehens der öffentlichen Widmung der Anliegerstraße auf der Grundlage der Straßengesetze auch ein einfach-rechtliches subjektives Recht auf Ausübung dieses „schlichten“ Gemeingebrauchs[xvii].
Wenn also bereits das – ziemlich elitäre – „Reiten im Walde“ dem Schutzbereich des Art. 2 I GG unterfällt, dann muß erst recht der schlichte Gemeingebrauch eines Straßenanliegers – sei er nun Mieter oder Eigentümer – auch durch Art. 2 I GG geschützt sein (zur „Elfes-Rechtsprechung“, BVerfGE 6, 32, erläuternd: Degenhart, Die allgemeine Handlungsfreiheit des Artikels 2 Absatz I GG, JuS 1990, 161).
Sieht man zudem das Grundrecht auf Entfaltungsfreiheit des Art. 2 I GG entsprechend der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des öffentlichen Straßenraums als ein Teilhabe-Grundrecht an, dann kann eigentlich nicht mehr daran gezweifelt werden, daß die Entwidmung öffentlichen Parkraums, auf dessen Existenz bestimmte Anwohner nachweisbar zur Ausübung ihres Berufes bzw. ihrer Fortbewegungsfreiheit wegen der Bedeutung, welche die Nutzung eines eigenen Pkws in der modernen Gesellschaft für viele erlangt hat, angewiesen sind, dann stellt die Entwidmung insoweit eine Beeinträchtigung dieser Grundrechte und damit der subjektiven Rechte dieses Personenkreises dar. Die genannten Grundrechte schützen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgebots insoweit das Interesse der Anwohner an der Beibehaltung bestehender Parkmöglichkeiten.
Es ist grundsätzlich unbestritten, daß der Gemeingebrauch – wozu insbesondere auch das „Parken“ gehört – im Zeitraum der Wirksamkeit der öffentlichen rechtlichen Straßenwidmung dem Schutzbereich des Art. 2 I GG (Entfaltungsfreiheit) unterfällt[xviii]. Dennoch verneinen die Verwaltungsgerichte zu Recht die Möglichkeit einer Rechtsverletzung eines „gewöhnlichen“ Verkehrsteilnehmers im Falle der Einziehung, weil dieser hierdurch nur marginal betroffen ist und Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zulässig sind[xix].
Von einer pauschalen Rechtlosigkeit des Anliegers, von welcher die zitierten Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg aus letzter Zeit ausgehen, kann jedenfalls keine Rede sein. Richtiger Ansicht nach haben Straßenanlieger einen Rechtsanspruch darauf, daß die Einziehung ihrer Straße nur unter den – normalerweise nicht „drittschützenden“ – einfach-gesetzlichen Voraussetzungen erfolgt. Insoweit sind also die landesrechtlichen Einziehungsvoraussetzungen doch als „drittschützend“ im Sinne der „Schutznormtheorie“ [xx]anzusehen [xxi] Aus den oben dargelegten Gründen läßt das Straßenrecht eine Entwidmung aus verkehrsrechtlichen Motiven nicht zu, sodaß der Anlieger hier eine Rechtsverletzung geltend machen kann.
Demgemäß bedeutet die ersatzlose Entwidmung vorhandenen Parkraums in einem ganzen Wohnviertel einen empfindlichen Eingriff in die Handlungsfreiheit jedes Anwohners, der aus beruflichen oder privaten Gründen über einen Pkw verfügt, der bisher in der Anwohnerstraße abgestellt werden konnte im Rahmen des sogenannten „schlichten“ Gemeingebrauchs.
Nach Auffassung des Verfassers stellt die hier in Rede stehende Privatisierung vorhandenen öffentlichen Parkraums zum alleinigen Zwecke der Vermietung an zahlungsfähige Parkraum-Mieter unter Herausdrängung „ortsfremder“ Parker aus Sicht der betroffenen Anlieger im übrigen einen verfassungswidrigen Willkürakt der Kommune dar, weshalb die Anlieger auch in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 I GG) verletzt werden.
Dr. Robbert
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[i] zuletzt: Amtsblatt für Potsdam vom 30.4.2015, Seite 6
[ii] BVerwG 4 C 58.80, Urteil vom 11.11.1983, DÖV 1984, 426; BVerwG 7 C 60.85, NJW 1988, 432; BVerwG 11 C 38.92, BVerwGE 94,136; BVerwG 4 VR 7/99, Beschluß vom 11.5.1999, NVwZ 1999, 1341; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 24.6.2014, OVG 10 S 29.13, Juris RN 57; VG Dresden, Beschluß vom 23.9.2009, 3 L 517/09, Juris RN 17; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 31.10.2014, OVG 1 M 14.14, nicht veröffentlicht; zusammenfassend: Kodal/Stahlhut, 7. Auflage 2010, Kap. 26 RN 21 – 23 und Kodal/Herber, a.a.O., Kap. 11 RN 42
[iii] Kodal/Stahlhut, a.a.O., RN 60 – 61.3
[iv] BVerwG, Urteil vom 28.11.1969, BVerwGE 34, 241 = DVBl. 70, 584
[v] vgl. z. B.: BVerfGE 34, 9, 28 f
[vi] BVerwGE 34, 241; 34, 320; siehe auch: Evers, NJW 1962, 1033
[vii] BVerwG, NJW 1982, 2332
[viii] siehe auch: Steiner, Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, JuS 1984, 1 ff.; Dannecker, DVBl. 99, 145
[ix] Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage 2007, Einl. 49
[x] Begründung des Gesetzentwurfs BT Drucksache 14/4304 unter I Nr. 1, Seite 8; siehe im übrigen: Gehrmann, Kommunale Parkraumbewirtschaftung im Umbruch, NZV 2001, 327
[xi] OVG 1 M 14.14, S. 3-4, nicht veröffentlicht; unter Hinweis auf OVG Berlin-Brandenburg, 24.6.2014, OVG 10 S 29.13 sowie BVerwG, 4 VR 7.99, NVwZ 1999, 1341, Juris, RN 7
[xii] BVerwG, 4 C 58.80, NJW 83,770
[xiii] allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG, Fortbewegungsfreiheit, Art. 2 II GG, Eigentum, Art. 14 GG, Freiheit der Berufsausübung, Art. 8 GG, Gleichbehandlung, Art. 3 I GG
[xiv](Schnebeldt/Sigel, Straßenrecht Baden-Württemberg, 2. Auflage 2004, RN 80)
[xv] sogenannte numerus-clausus-Fälle, BVerfGE 33, 303; BVerfGE 66, 155, 179; BVerfGE 81, 242; siehe auch: Hermes, NJW 1990, 1764
[xvi] BVerfGE 35, 79, 114 ff.
[xvii] so schon: Forsthoff, Verwaltungsrecht, Seite 391 f.; Papier, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Auflage, § 40 IV, RN 61
[xviii] BVerwG NJW 69, 284; NJW 75, 1528; DÖV 81, 342
[xix] so schon: Forsthoff, Verwaltungsrecht, 10. Auflage 1973, Seite 390 FN 5
[xx] (zu ihrer Herleitung aus der erwähnten Schutzwirkung der Grundrechte: Callies, NVwZ 2006, 5)
[xxi](so: Kodal/Herber, a.a.O., Kap. 11, RN 42.2).