1. Am Tage der Wiedervereinigung (3.10.1990) bestehende Versorgungsleitungen
Durch § 9 I Grundbuchbereinigungsgesetz ist zugunsten der sogenannten Versorgungsunternehmen für diejenigen Anlagen zur Fortleitung von Elektrizität, Gas, Fernwärme und Wasser, die bereits am 3.10.1990 auf einem Privatgrundstück vorhanden waren, eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit an dem betroffenen Privatgrundstück begründet worden. Der genaue Inhalt dieser beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ist geregelt in § 4 Sachenrechts-Durchführungsverordnung. Im wesentlichen steht danach den Versorgungsunternehmen das Recht zu, die auf dem Grundstück befindliche Anlage in der bisherigen Form weiter zu nutzen.
Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit ist mit Inkrafttreten des Grundbuchbereinigungsgesetzes am 25.12.1993 zugunsten derjenigen Energie- bzw. Wasserversorgungsunternehmen entstanden, die die Fortleitungsanlage zu diesem Zeitpunkt betrieben haben. Wenn das betroffene Grundstück mit einem Erbbaurecht oder einem sogenannten dinglichen Nutzungsrecht eines Grundstücksnutzers (Artikel 233 § 4 EGBGB) belastet ist, erstreckt sich die Dienstbarkeit des Versorgungsunternehmens auch auf diese Grundstücksrechte
Für die Eintragung dieser kraft Gesetzes entstandenen Dienstbarkeit des Versorgungsunternehmens hat dieses an den Grundstückseigentümer eine einmalige Entschädigung zu leisten, die in zwei Raten fällig wird, wobei die erste Rate frühestens zum 1.1.2001 zu zahlen ist. Die zu zahlende Entschädigung richtet sich nach dem Wert des Grundstücks am Tage des Entstehens der Dienstbarkeit (25.12.1993) sowie nach den üblichen Sätzen, die für die „freihändige“ Bewilligung einer persönlichen Dienstbarkeit im allgemeinen gezahlt werden.
2. Fortleitungsanlagen, die nach dem 3.10.1990 neu entstanden sind bzw. entstehen
Leitungsrechte der Versorgungsunternehmen an Privatgrundstücken für solche Anlagen, die erst nach dem 3.10.1990 entstanden sind oder noch geschaffen werden sollen, richten sich nach den gleichen Vorschriften, die auch im Westteil der Bundesrepublik gelten. Hier existieren inhaltlich ziemlich gleichlautende Verordnungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen für Versorgungsunternehmen. Es handelt sich dabei um die Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden, die Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden, die Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Fernwärmeversorgung von Tarifkunden und die Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Wasserversorgung von Tarifkunden.
Als Beispiel sollen hier die Regelungen des § 8 der allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden dargestellt werden. Nach dieser Vorschrift müssen Kunden und Anschlußnehmer für Zwecke der örtlichen Versorgung (Niederspannungs- und Mittelspannungsnetz) das Anbringen und Verlegen von Leitungen zur Zu- und Fortleitung von Elektrizität über ihre im gleichen Versorgungsgebiet liegenden Grundstücke, ferner das Anbringen von Leitungsträgern und sonstigen Einrichtungen sowie erforderliche Schutzmaßnahmen unentgeltlich dulden. § 8 I Satz 1 dieser Vorschrift begründet eine umfassende Duldungspflicht des Kunden des Versorgungsunternehmens für Freileitungen, Kabel, Masten und Dachständer. Außerdem umfaßt die Duldungspflicht das zum Betrieb von Versorgungseinrichtungen notwendige Zubehör. Zu den „sonstigen Einrichtungen“ im Sinne dieser Vorschrift können sogar Transformatorenstationen gehören (BGH, Urteil vom 14.1.1981, Morell, Leitungsrechte der Versorgungsunternehmen, Ke. 2520/6). Die Duldungspflicht erstreckt sich auf solche Einrichtungen, die der „örtlichen Versorgung dienen“. Deshalb fallen reine Transportleitungen nicht unter die Duldungspflicht. Die Duldungspflicht erfaßt im übrigen nur diejenigen Grundstücke des Kunden des Unternehmens, die durch die Versorgungseinrichtung einen wirtschaftlichen Vorteil haben.
Die Pflicht zur Duldung der beschriebenen Anlagen besteht aber nur dann, wenn die Inanspruchnahme des Grundstücks den Eigentümer nicht mehr als notwendig bzw. in zumutbarer Weise belastet. Diese Einschränkung beruht auf dem grundrechtlichen Schutz des Eigentums. Danach muß der Grundstückseigentümer Einschränkungen seines Rechts zum Wohle der Allgemeinheit nur insoweit dulden, als diese für einen öffentlichen Zweck erforderlich und zumutbar sind (Sozialpflichtigkeit des Eigentums). Sofern sich also ein Grundstückseigentümer gegen die Errichtung einer Leitung zur Wehr setzen will, hat das Gericht eine Abwägung der Interessen im Einzelfall vorzunehmen, ob die Grundstücksbenutzung zur Erfüllung der Versorgungsaufgabe erforderlich und dem Grundstückseigentümer die mit der beabsichtigten Grundstücksbenutzung verbundene Nachteile im Interesse einer leistungsfähigen, zugleich aber auch einer sparsamen Versorgung noch zumutbar sind (BGH, Urteil vom 13.3.1991; a.a.O., Ke. 2520/9).
Hierbei ist aber zu bedenken, daß grundsätzlich die Entscheidung über die Art der Verlegung einer Leitung beim Versorgungsunternehmen liegt. Beispielsweise kann das Versorgungsunternehmen selbst über die Geeignetheit von Maststandorten und anderen Versorgungseinrichtungen entscheiden. Es gibt auch keinen Vorrang der Inanspruchnahme öffentlicher Grundstücke vor privaten Grundstücken. Allerdings muß sich ein Versorgungsunternehmen dann auf die Benutzung öffentlicher Grundstücke verweisen lassen, wenn hiermit für das Versorgungsunternehmen keinerlei Nachteile verbunden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.12.1985, a.a.O. Ke. 2530/15).
Die Grenzen des Zumutbaren sind nach der Rechtsprechung ausnahmsweise auch dann überschritten, wenn dem Grundstückseigentümer bereits eine Baugenehmigung für ein konkretes Bauvorhaben erteilt worden ist und dieses Bauvorhaben nunmehr durch die von dem Versorgungsunternehmen gewünschte Verlegung einer Versorgungsleitung behindert werden würde (OLG Hamm, Urteil vom 4.11.1996, Ke. 2530/25).
Auch Verkehrswertminderungen eines Grundstücks, das durch die Verlegung einer Leitung im Zusammenhang mit der Duldungspflicht betroffen ist, sind grundsätzlich zumutbar. Allerdings ist dies dann nicht mehr der Fall, wenn der Verkehrswert in erheblicher Weise durch die Versorgungseinrichtung beeinträchtigt wird. Dies wird von der Rechtsprechung bei einer Verkehrswertminderung von 10 % bejaht (BGH, Urteil vom 14.1.1981, Ke. 2520/6).
Die Duldungspflicht des Grundstückseigentümers entsteht mit dem Abschluß des Versorgungsvertrages. Das Versorgungsunternehmen kann den Duldungsanspruch allerdings nicht eigenmächtig durchsetzen. Vielmehr muß es sich bei dem Grundstückseigentümer um ein ausdrückliches Einverständnis bemühen. Diesem Zweck dient u.a. auch die Benachrichtigungspflicht gemäß § 8 II der Allgemeinen Versorgungsbedingungen. Sie soll dem Grundstückseigentümer die Möglichkeit geben, sich vor der Abgabe der Einverständniserklärung ein Bild über Art und Umfang der Grundstücksinanspruchnahme und gegebenenfalls über alternative Leitungswege auf benachbarten öffentlichen Verkehrsflächen zu machen. Das Versorgungsunternehmen muß dabei den Grundstückseigentümer so rechtzeitig informieren, daß ihm ausreichend Gelegenheit bleibt, sich auf die Grundstücksinanspruchnahme einzustellen. Verweigert der Grundstückseigentümer seine Zustimmung zur Inanspruchnahme des Grundstücks, dann kann das Versorgungsunternehmen diesen Duldungsanspruch gerichtlich durch Klage oder Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung durchsetzen. Keineswegs ist das Versorgungsunternehmen allerdings berechtigt, einfach eigenmächtig die Fortleitungsanlage zu verlegen. Ist dies dennoch geschehen, dann kann sich der Grundstückseigentümer seinerseits gegen diese sogenannte „verbotene Eigenmacht“ des Versorgungsunternehmens durch entsprechende gerichtliche Schritte wehren. Soweit sich in einem derartigen gerichtlichen Verfahren herausstellt, daß das Versorgungsunternehmen ohne damit verbundene Nachteile auch die Möglichkeit gehabt hätte, die Fortleitungsanlage in öffentlichen Grundstücken zu verlegen, muß das Versorgungsunternehmen die auf dem Privatgrundstück eigenmächtig errichtete Fortleitungsanlage auf eigene Kosten wieder entfernen.
3. Erstreckung der Duldungspflicht auf vor dem 3.10.1990 bestehende Anlagen
Gemäß § 9 II Grundbuchbereinigungsgesetz hat in den neuen Bundesländern ein Grundstückseigentümer auch eine vor dem 3.10.1990 errichtete Fortleitungsanlage unentgeltlich zu dulden, wenn es sich um eine Fortleitungsanlage im Sinne der soeben unter 2. dargestellten Art handelt, die aber schon nach den „gesamtdeutschen Regeln“ zu dulden ist. Deswegen hat er insoweit auch keinen Anspruch auf Zahlung der unter 1. dargestellten Entschädigung. Diese wird also nur im Ergebnis an Grundstückseigentümer gezahlt, die nicht Kunden des Versorgungsunternehmens sind bzw. dann, wenn die aus „DDR-Zeiten“ stammende Anlage im Sinne von 2. „unverhältnismäßig“ ist.
Dr. Robbert
Rechtsanwalt